Interview mit dem Flüchtlingsrat NRW: „Abschiebungshaft ist eine Haft ohne Straftat“

Für die aktuelle Ausgabe der EhrenamtsNews hat uns der Flüchtlingsrat NRW zum „Rückführungsverbesserungsgesetz“ und politischem Engagement gegen die Entrechtung von Schutzsuchenden interviewt:

»Engagement im Fokus: Bündnis „Abschiebegefängnis verhindern – in Düsseldorf und überall“ – so lautet das erklärte Ziel eines zivilgesellschaftlichen Bündnisses in Nordrhein-Westfalen. Im Gespräch mit uns schildert das Bündnis seine Befürchtungen hinsichtlich der Auswirkungen der jüngsten Gesetzesverschärfungen und gibt Anregungen, wie politisches Engagement gegen die Entrechtung von Schutzsuchenden gelingen kann.

Wie ist das Bündnis „Abschiebegefängnis verhindern – in Düsseldorf und überall“ entstanden? Auf welche Weise setzen Sie sich für Ihre Ziele ein?

Wir haben uns Anfang 2022 als NRW-weites Bündnis aus verschiedenen zivilgesellschaftlichen Initiativen und Einzelpersonen zusammengetan. Kurz zuvor war bekannt worden, dass die damalige Landesregierung am Düsseldorfer Flughafen, dem zweitgrößten Abschiebeflughafen Deutschlands, einen sogenannten Ausreisegewahrsam mit 25 Plätzen plant. Das Ziel: mehr und schnellere Abschiebungen.

Was in öffentlichen Diskussionen oft vergessen wird: Abschiebungshaft ist eine Haft ohne Straftat. Menschen werden ihrer Freiheit beraubt, nur um sie außer Landes bringen zu können.

Dass sich laut den Erfahrungen des langjährig im Bereich Abschiebungshaft tätigen Rechtsanwalts Peter Fahlbusch vor Gericht rund die Hälfte aller angegriffenen Inhaftierungen als rechtswidrig erweisen, ist ein Armutszeugnis für den Rechtsstaat.

Als Bündnis versuchen wir beispielsweise mit Vorträgen und Lesungen ein Bewusstsein dafür zu schaffen. Wir organisieren Kundgebungen, machen Pressearbeit und sprechen mit politisch Verantwortlichen. Unverzichtbar ist auch die Recherchearbeit, denn sowohl die alte als auch die amtierende Landesregierung halten den Planungsstand des Düsseldorfer Ausreisegewahrsams intransparent. Selbst auf unsere Anfrage über die Informationsfreiheitsplattform „Frag den Staat“ hat das zuständige Ministerium lange Zeit keinerlei Dokumente preisgegeben. Des halb haben wir im Herbst 2022 Klage vor dem Verwaltungsgericht Düsseldorf auf die Freigabe erhoben.

Im Zuge des sog. „Rückführungsverbesserungsgesetzes“ traten jüngst diverse Verschärfungen für Schutzsuchende in Kraft. Welche konkreten Auswirkungen auf die Situation geflüchteter Menschen in Deutschland befürchten Sie?

Wir müssen davon ausgehen, dass die Behörden die neuen Spielräume nutzen und sowohl die Anzahl der Inhaftierten als auch die Haftdauer zunehmen. Das ist eine weitere Entrechtung von schutzsuchenden Menschen. Da ist es ein bitterer Erfolg, dass künftig allen Betroffenen bis zur gerichtlichen Entscheidung über die Haftanordnung eine Pflichtanwältin zur Seite gestellt wird, sofern sie noch nicht anwaltlich vertreten sind.

Außerdem befürchten wir, dass die psychische Belastung geflüchteter Menschen weiter zunimmt. Die Drohkulisse des neuen „Hau-ab-Gesetzes“ wirkt auch bei denen, die nicht selbst festgenommen und inhaftiert werden. Das neue Gesetz erleichtert Nachtabschiebungen und die Durchsuchung der Zimmer von unbeteiligten Dritten in Gemeinschaftsunterkünften. Das lässt in der Praxis auch alle anderen Bewohnerinnen in permanenter Angst vor Abschiebung leben.

Perspektivisch stellt sich auch die Frage, was die Gesetzesänderungen für den geplanten Ausreisegewahrsam in Düsseldorf bedeuten. Im Dezember 2023 hatte die FDP im Landtag beantragt, das Gefängnis endlich zu errichten. Das wurde mit den Stimmen von CDU, Grünen und SPD klar abgelehnt. Aber nicht, weil sie Abschiebehaft auf einmal grundsätzlich ablehnen würden. Nein, das Argument war schlicht, dass es im Abschiebegefängnis in Büren bei Paderborn noch genug freie Kapazitäten gebe, so dass der Neubau nicht nötig sei.

Das ist zunächst eine erfreuliche Nachricht. Aber was, wenn die Haftzahlen angesichts der jüngsten Gesetzesverschärfungen steigen? Noch immer sind im Landeshaushalt Millionenbeträge für das Abschiebegefängnis am Flughafen reserviert. In einem zunehmend rassistischen Klima könnte eine Landesregierung die Baupläne jederzeit wieder aus der Schublade holen. Deshalb bleiben wir als Bündnis aktiv.

Die neuesten Restriktionen sind Resultate einer aufgeheizten politischen Debatte, die nicht zuletzt auch dafür sorgt, dass Schutzsuchende innerhalb unserer Gesellschaft immer mehr als Problem wahrgenommen werden. Welchen Rat haben Sie für andere Initiativen und einzelne Engagierte, die sich in diesem zunehmend flüchtlingsfeindlichen Klima öffentlich bzw. politisch für die Rechte von Schutzsuchenden einsetzen (wollen)?

Auch wir haben da kein Patentrezept. Als Bündnis haben wir selbst unsere Durststrecken.

Trotzdem ist es uns z.B. gelungen, innerhalb von einer Woche eine gut besuchte Kundgebung auf die Beine zu stellen, als die FDP das Abschiebegefängnis im Dezember spontan auf die Tagesordnung des Landtags gesetzt hat. Entscheidend dafür war eine gute Vernetzung mit Gleichgesinnten und Aktiven in der Region. Wir haben in ruhigeren Zeiten Kooperationen und Vertrauen aufgebaut, die wir in diesem Fall schnell aktivieren konnten.

Wir bemühen uns, den Gesprächsfaden in die Landespolitik nicht abreißen zu lassen, auch wenn es manchmal mühselig scheint. Auch ein Infostand beim alternativen Stadtfest oder ein kurzer Redebeitrag bei einer der aktuellen Demos gegen rechts trägt zur Vernetzung bei und sorgt gleichzeitig für mehr Sichtbarkeit für die eigenen Anliegen. Kurzum: ein langer Atem und nicht alleine zu kämpfen, das hat sich für uns bewährt.

Vielen Dank für das Gespräch! Wir wünschen alles Gute für Ihr Engagement.«

Download der EhrenamtsnNews Nr. 1 / 2024 (PDF, 900kB)

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